Mut zum Leben – Was mich die Überlebenden von Auschwitz lehrten

Für den Film MUT ZUM LEBEN begleitete die Filmemacherin  und Autorin Christa Spannbauer vier Shoah-Überlebende mit der Kamera. Sie traf auf Menschen von beeindruckendem Lebensmut, unzerstörter Hoffnung und tiefer Mitmenschlichkeit.

Hier hörst Du Christa Spannbauer im Mutausbrüche – Interview:

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„Das Leben ist schön“, sagt sie und lacht in die Kamera. Es ist dieses Strahlen in ihren großen Augen, das einen umgehend in den Bann zieht. Wir stehen mit Greta Klingsberg in ihrem Garten in Jerusalem. Flink bewegt sich die 83-Jährige zwischen Bäumen und Blumenbeeten hin und her. Die Leichtigkeit und Lebensfreude, die sie ausstrahlt, lassen nichts von ihrer schweren Kindheit erahnen. Vier Jahre wurde sie in einem tschechischen Kinderheim versteckt, bevor sie 1942 entdeckt und mit ihrer jüngeren Schwester ins KZ Theresienstadt verschleppt wurde.  Von dort aus wurde sie zwei Jahre später nach Auschwitz deportiert, wo ihre Schwester ermordet wird. „Überlebt zu haben ist ja noch kein Verdienst“, sagt sie entschieden. „Es kommt doch darauf an, was man damit macht. Was ich aus dieser Zeit gelernt habe, ist, den Wert zu erkennen, den die kleinen und einfachen Dinge des Lebens haben.“ Bis heute sind die Natur und die Musik ihr Lebenselixier. Und die vielfältigen Begegnungen mit Menschen weltweit. „Ich lebe gerne und ich habe die Menschen gerne. Ich habe sehr viele gute Freunde, die mir meine Familie ersetzen. Und ich gehe zwischen den Sprachen spazieren, was ein Brückenbau ist zwischen den Menschen und die Toleranz fördert.“

Woher nur nimmt diese Frau ihre ungebrochene Freude am Leben? Weshalb klagt sie nicht über das, was ihr der Tod genommen hat, sondern erzählt dankbar von dem, was ihr das Leben gegeben hat? Mit diesen Fragen im Gepäck komme ich in Budapest an. Dort sitzen wir Éva Pusztai mit der Kamera in ihrer stilvollen Altstadtwohnung gegenüber. Im Gespräch erinnert sich die 88-Jährige an ihre glückliche Kindheit: „Was man als Kind gelernt hat, wird man nie vergessen. Aus diesem Erfahrungsschatz habe ich mein ganzes Leben gelebt.“ Dass sie als Kind viel Liebe erfahren durfte, half ihr nach eigenem Bekunden dabei, das zu überstehen, was bald darauf geschah: die Ermordung ihrer gesamten Familie in Auschwitz. Auf die Frage, was sie selbst darin unterstützt habe, die Schreckenszeit im Vernichtungslager zu überstehen, sagt sie: „Ich durfte auch hier erfahren, dass es immer Menschen gibt, die einem in der größten Not beistehen“. Und dann beginnt sie zu erzählen: Von den vielen Gesten der Solidarität zwischen den Frauen in ihrer Baracke, von dem Trost, den sie sich gegenseitig spendeten, der Hoffnung, die sie nie aufgaben und der Bereitschaft, selbst den letzten Bissen Brot miteinander zu teilen. Gebannt lausche ich den Erzählungen von Frauen, die sich mit aller Entschlossenheit gegen die Entmenschlichung und Entwürdigung zur Wehr setzten.  „Zu unseren Überlebensstrategien gehörte, dass wir einander ermutigten und Hoffnung machten. Und wir vertrauten und achteten einander und glaubten an unsere Zukunft. Deshalb haben wir das Lager überlebt, deshalb sind wir zurückgekommen.“

In dieser Widerstandskraft erblickte der Psychoanalytiker und Shoah-Überlebende Viktor Frankl den unzerstörbaren Kern des Mensch-Seins und die letztendliche Freiheit des Menschen. Im Zentrum der von ihm begründeten Existenzanalyse steht die Überzeugung, dass der Mensch über das Potenzial verfügt, allen Lebenssituationen – und seien sie auch noch so unerträglich – einen Sinn abzuringen. „In der Art, wie ein Mensch sein unabwendbares Schicksal auf sich nimmt, darin eröffnet sich auch noch in den schwierigsten Situationen und noch bis zur letzten Minute des Lebens eine Fülle von Möglichkeiten, das Leben sinnvoll zu gestalten“.

Unsere Spurensuche nach dem Mut zum Leben führte uns weiter nach Hamburg. Dort treffen wir auf eine sehr kleine Frau mit einer sehr großen Wirkung: die Sängerin und Vorsitzende des deutschen Auschwitz-Komitees Esther Bejarano. Eine Frau von funkensprühender Vitalität und Widerstandskraft. Als 18-Jährige musste sie im Mädchenorchester von Auschwitz um ihr Leben spielen. Heute tritt sie mit Musikern der nächsten Generationen auf und ist mit ihren mittlerweile 90 Jahren sogar noch unter die Rapper gegangen, um junge Menschen zum Widerstand gegen Neonazismus aufzurufen. 

Wir können viel lernen von Menschen, die sich von traumatischen Erlebnissen zwar erschüttern, nicht aber zerbrechen lassen. Der israelische Maler Yehuda Bacon verlor als 15-Jähriger seine Familie und überlebte Auschwitz unter unvorstellbaren Bedingungen. Auf die Frage, ob denn ein Sinn in solch einem Leiden zu finden sei, antwortete er mit dem ihm eigenen Sanftmut: „Es kann Sinn haben, wenn es einen Menschen so tief erschüttert, bis zu den Wurzeln seines Seins, und er dann erkennt, dass der Nächste ist wie er selbst.“ Erfahrenes Leid nicht zu verdrängen, sondern auszuhalten und es schließlich für das Positive zu transformieren, darin liegt die menschliche Größe der Überlebenden. Das künstlerische Lebenswerk des 85-Jährigen bringt eine auf Versöhnung  ausgerichtete Haltung nach außen, die auf einer Verwandlung des Leides im Innen gründet. In seinen Bildern finden wir neben dem christlichen Motiv der Nächstenliebe ebenso die Überzeugung der jüdischen Mystik am Wirken, dass allem – und selbst den grausamsten und leidvollsten Momenten des Mensch-Seins – ein göttlicher Funken innewohnt. Aufgabe des Menschen ist es, diesen Funken zum Leuchten zu bringen.

Was also ist der Mensch? Welche Größe wohnt im inne? Diese Fragen stellen sich unweigerlich jedem, der diesen Menschen begegnet. „Wenn man alles und alle verloren hat, bleibt einem nur eines: das Leben“, sagt Éva Pusztai. „Und wenn man schon ein Leben hat, dann soll man es auch leben! In uns, die wir aus Auschwitz zurückgekommen sind, ist die Lebenskraft sehr tief. Wir wissen, wie teuer das Leben ist.“ Nein, die Zeit heilt keine Wunden. Sie kann nur lehren, mit diesen Wunden zu leben. Der Schmerz bleibt. Die Toten auch. Sie altern nicht. Noch heute träumt die 88-Jährige davon, dass ihre kleine Schwester plötzlich vor der Tür steht und sagt: „Wir haben uns aber lange nicht gesehen. Wollen wir ein Rad schlagen?“

Bis zum heutigen Tage treten die Überlebenden mit unermüdlichem Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz an. Ihre Botschaft ist klar: Liebe statt Hass, Versöhnung statt Verbitterung. Denn, so Yehuda Bacon: „Wer in der Hölle war, weiß, dass es zum Guten keine Alternative gibt.“  Wer könnte uns mehr lehren über die Widerstandskraft des Menschen, seine Fähigkeit zu Mut und Mitgefühl unter schwierigsten Voraussetzungen, seine Entschlossenheit, die Würde des Menschen selbst unter unmenschlichen Bedingungen zu bewahren? Die Erfahrungen der Überlebenden stellen jeden von uns vor die existenziellen Fragen des eigenen Lebens: Wer bin ich, wenn mir alles genommen wird? Was macht mir Mut zum Leben?

Esther_Christa_Fernsehpremiere

Buch und Film Mut zum Leben – Die Botschaft der Überlebenden von Auschwitz sind im Buchhandel erhältlich.

Weiter Infos gibt es unter: www.mut-zum-leben-filmprojekt.org

Mehr zu Christa Spannbauer: http://www.christa-spannbauer.de/

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Nur Mut, Simone Gerwers

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